Freitag, 4. November 2011

Nautnutz der Faulpelz

Wie ihr sicherlich wisst, gibt es Fleißige und auch Faule in dieser
Welt. Ameisen zum Beispiel, die sind fleißig wie sonst kein anderes
Tier. Sie sind ständig in Bewegung, suchen, sammeln und schleppen alles
Mögliche. Bienen sind auch sehr fleißig, besonders am Tag, wenn sie
emsig umherschwirren auf der Suche nach Blüten, um aus ihren Pollen
köstlichen Honig zu machen.

Faulpelze gibt es auch genug. Ich denke da nur an das Faultier, dass die
ganze Zeit nur faul in Baumwipfeln hängt und sich nur dann träge auf den
Weg macht, wenn es Nahrung sucht. Allerdings nur Nahrung in der
unmittelbaren Umgebung, denn es scheut weite Wege, wie ihr euch denken
könnt. Ein Krokodil wirkt auch faul, wenn es auf einer Sandbank liegt
und in die Sonne blinzelt. Doch Vorsicht! Wenn es Beute wittert, kommt
ganz schnell Leben in die Panzerhaut.

Auch unter den Menschen gibt es welche, die sind fleißig wie die Bienen
oder so faul wie voll gefressene Löwen. Solche Faulpelze gibt es nicht
nur unter den Erwachsenen, sondern auch schon unter den Kindern. Nehmt
die Schule als Beispiel! Die meisten Kinder sind brav und machen immer
ihre Hausaufgaben. Allerdings gibt es auch welche, die sind stinkend
faul und lügen noch dazu.

Einer von solchen Faulpelzen war auch Nautnutz, von dem diese
Kurzgeschichte handelt. Sicherlich hieß er in Wirklichkeit anders, aber
seine Mutter nannte ihn nur 'Nautnutz', weil er so faul war wie sonst
keiner und obendrein zu nichts nütze. Nautnutz war es auch egal, wie ihn
seine Mutter rief. Er wollte lieber seine Ruhe und von niemandem gestört
werden, auch nicht in der Schule. Wenn er sich denn einmal bewegte, dann
nur, um sich nach etwas Essbarem umzuschauen oder nach einer noch
ruhigeren Ecke.

Natürlich war auch das Äußere von Faulpelz entsprechend abstoßend. Er
war kugelrund und ungepflegt, weil er sich kaum bewegte und alles
Essbare in sich hineinstopfte. Waschen war ihm lästig und Anziehen
natürlich auch. Am liebsten hätte er den ganzen Tag seinen gammeligen
Schlafanzug getragen, sogar in die Schule wäre er damit gegangen, nur um
abends sich nicht wieder umziehen zu müssen. Klar, dass ihn auch immer
ein muffiger Geruch umgab und niemand mit ihm etwas zu tun haben wollte.

Schon morgens begann das Drama mit Nautnutz. Weil er nicht wach werden
wollte, zog ihm seine Mutter einfach die Decke weg und ließ kalte Luft
ins Zimmer. Dann zog sie ihn trotz seines Widerstandes an den Armen aus
dem Bett und stellte ihn auf seine kurzen Beine. Damit er sich nicht
wieder in die warmen Federn verkriechen konnte, nahm sie das Bettuch und
brachte es zum Lüften auf den Balkon. Und dann dauerte es ewig, bis
Nautnutz endlich am Tisch saß und langsam seine Cornflakes in sich
hinein mümmelte. Den Schulbus erreichte Nautnutz in der Regel nicht
mehr, weil er auf dem Weg trödelte oder einfach auf einer Bank sitzen
blieb. Dann musste ihn seine Mutter mit dem Auto dorthin bringen. Das
war für Nautnutz natürlich viel bequemer!

Wenn er in der Schule war, meist verspätet natürlich, dann setzte sich
das Drama fort. Keiner mochte neben ihm sitzen, weil er so abstoßend war
und meist auf seinen Armen ein Nickerchen machte. Der Lehrerin war's
Recht, denn ihn zur Mitarbeit zu ermuntern, war reine Zeitverschwendung!
Wenn eine Arbeit geschrieben wurde, dann gab Nautnutz nur einen leeren
Zettel ab oder sein Heft, in das er ein paar Strichmännchen gezeichnet
hatte, sofern er denn seinen Ranzen mithatte oder sein Federmäppchen. Wo
sollte das nur enden?, fragten sich alle: die Eltern von Nautnutz, seine
Klassenlehrerin und alle seine Mitschüler.

Eines Tages kam eine neue Schülerin in die Klasse. Sie hieß Laura und
war ein hübsches Mädchen mit dunklen Haaren und großen Augen. Schon bald
flogen ihr die Herzen aller Jungen in der Klasse entgegen. Jeder bemühte
sich um ihre Aufmerksamkeit und machte ihr kleine Geschenke. In den
Pausen drängten sie sich alle um sie und brachten sie zum Lachen. Nur
Nautnutz saß träge herum und würdigte sie keines Blickes. Sie war ihm
einfach egal!

Laura hatte bemerkt, dass sie auf Nautnutz keinen Eindruck machte. Das
ärgerte sie im Stillen, denn sie war solch eine Ablehnung von einem
Jungen nicht gewohnt. Was konnte sie nur anstellen, um auch von diesem
Sonderling beachtet und verehrt zu werden? Lange musste sie nachdenken,
bis ihr eine Idee kam.

In der nächsten Pause spielten alle Kinder der Klasse Abschlagen. Jeder
kannte das Spiel: Man musste hinter jemandem herlaufen, ihm irgendwohin
einen Klaps geben und rufen: Du hast ihn! Wer den letzten Klaps hatte,
musste nun seinerseits hinter einem anderen herlaufen und ihn
abschlagen. Als Laura den letzten Klaps hatte, rannte sie auf wie
zufällig an dem gelangweilten Nautnutz vorbei und schlug ihn ab. Doch
der blieb ungerührt sitzen, so als wäre nichts passiert. "Los, du
Faulpelz!", rief Laura, "du hast den letzten!" Doch Nautnutz blieb
sitzen wie angeklebt. Laura unternahm noch einen Versuch. Auch der
brachte nichts. Doch als sie ihn zum 3. Mal abschlagen wollte, kam ihr
Nautnutz zuvor: Er schlug sie ab! Allerdings blieb er dabei hocken und
rührte sich keinen Zentimeter.

Laura war sprachlos. Schnell gab sie Nautnutz den Schlag zurück und
wollte wegrennen. Doch Nautnutz war aufgesprungen und sofort hinter ihr.
Gerade wollte er sie wieder abschlagen, da stolperte Laura und fiel auf
den rauen Asphalt. Nautnutz war sofort neben ihr und half ihr auf. Ihr
rechtes Knie blutete und eine dicke Träne kullerte über ihre rechte
Backe. Umständlich kramte Nautnutz nach seinem verdreckten Taschentuch
und wischte ihr die Träne weg. Jetzt hatte Laura zwar keinen Träne mehr,
aber dafür einen dreckigen Strich. Trotzdem sah sie Nautnutz dankbar an.
Dann nahm sie ein Tempo aus ihrer Tasche und tupfte damit das Blut von
ihrem Knie. Als es nicht mehr blutete, ließ sie sich von Nautnutz zurück
in die Klasse begleiten. Wie ihn jetzt alle Jungen beneideten!

Am nächsten Tag war ein Wunder mit Nautnutz geschehen! Als er pünktlich
in die Klasse kam, waren alle Blicke auf ihn gerichtet. Seine Haare
waren gewaschen und einen sauberen Scheitel trug er auch. Irgendwie
wirkte er heller, denn auch sein Gesicht glänzte und die schwarzen
Finger waren säuberlich geputzt. Irgendwie war er wie ausgewechselt:
Seine Jacke war ordentlich zugeknöpft und seine Jeans gestopft. "Wau!",
raunten einige Jungen in der Klasse und alle Mädchen staunten ungläubig.

Die Krönung aber war, dass plötzlich Laura neben Nautnutz saß und so
tat, als wäre nichts dabei. Sie tuschelten miteinander und taten auch
sonst sehr geheimnisvoll. Sicherlich hatten sie sich noch viel zu
erzählen, doch die neugierigen Ohren der Mitschüler konnten kein Wort
verstehen. Als die Lehrerin die Klasse betrat, tat sie so, als hätte sie
keine Veränderungen bemerkt. Das war Nautnutz gerade Recht, denn so
brauchte er auch keine Erklärungen abzugeben.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Laura brachte es
tatsächlich fertig, aus Nautnutz einen recht brauchbaren Schüler zu
machen. Seine Bücher waren immer vollzählig und die Hausaufgaben hatte
er auch immer gemacht, allerdings nicht ganz richtig. Die Mitschüler
erinnerten sich auch wieder an seinen richtigen Namen, obwohl sie ihn
nicht ‚Waldemar', nannten, sondern ‚Waldi', so wie Laura ...

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